Unvollständige Maschine

Die unvollständige Maschine: ein wohl nie endendes Mysterium! Lesen Sie hier mehr darüber, wie eine solche Maschine zu dokumentieren ist und welche Unterlagen Sie als Betreiber benötigen.

Definition unvollständige Maschine

Nach der Maschinenrichtlinie 2006/42/EG ergibt sich aus Art. 1, Anwendungsbereich:

(1) Diese Richtlinie gilt für die folgenden Erzeugnisse:

  a) Maschinen

  b) auswechselbare Ausrüstungen

  c) Sicherheitsbauteile

  d) Lastaufnahmemittel

  e) Ketten, Seile und Gurte

  f) abnehmbare Gelenkwellen

  g) unvollständige Maschinen

in Verbindung mit Artikel 2, Begriffsbestimmungen die Definition einer unvollständigen Maschine:

  g) „unvollständige Maschine“ eine Gesamtheit, die fast eine Maschine bildet, für sich genommen aber keine bestimmte Funktion erfüllen kann. Ein Antriebssystem stellt eine unvollständige Maschine dar. Eine unvollständige Maschine ist nur dazu bestimmt, in andere Maschinen oder in andere unvollständige Maschinen oder Ausrüstungen eingebaut oder mit ihnen zusammengefügt zu werden, um zusammen mit ihnen eine Maschine im Sinnen dieser Richtlinie zu bilden.

Welche Merkmale weist eine unvollständige Maschine auf?

In der Rechtsprechung werden Tatbestände üblicherweise an "Merkmalen" festgemacht. Zerlegt man die obige Definition in ihre Einzelteile, so ergibt sich:

  • Merkmal 1: Fast eine Maschine
  • Merkmal 2: Kann für sich genommen keine Funktion erfüllen
  • Merkmal 3: Ist dazu bestimmt ... eingebaut oder (so) zusammengefügt zu werden, dass (sie) eine Maschine im Sinne" des Art. 1 a in Verbindung mit Art. 2 a der Maschinenrichtline 2006/42/EG bildet.

Merkmal 1 und 2

Zur Bestätigung des 1. Merkmals werden die Merkmale einer (vollständigen) Maschine benötigt:

a) Maschine

  • eine mit einem anderen Antriebssystem als der unmittelbar eingesetzten menschlichen oder tierischen Kraft ausgestattete oder dafür vorgesehene Gesamtheit miteinander verbundener Teile oder Vorrichtungen, von denen mindestens eines bzw. eine beweglich ist und die für eine bestimmte Anwendung zusammengefügt sind;
  • eine Gesamtheit im Sinne des ersten Punktes, der lediglich die Teile fehlen, die sie mit ihrem Einsatzort oder mit ihren Energie- und Antriebsquellen verbinden;
  • eine einbaufertige Gesamtheit im Sinne des ersten und zweiten Punktes, die erst nach Anbringung auf einem Gebäude oder Bauwerk funktionsfähig ist;
  • eine Gesamtheit von Maschinen im Sinne des ersten, zweiten und dritten Punktes oder von unvollständigen Maschinen im Sinne des Buchstabens g*, die, damit sie zusammenwirken, so angeordnet sind und betätigt werden, dass sie als Gesamtheit funktionieren;
  • eine Gesamtheit miteinander verbundener Teile oder Vorrichtungen, von denen einzige Antriebsquelle die unmittelbar eingesetzte menschliche Kraft ist;

Nach dem ersten Punkt hat die unvollständige Maschine also miteinander verbundene Teile, von denen mittels eines Antriebssystems (mindestens) eines bewegt werden kann. Das Antriebssystem soll nicht die unmittelbar eingesetzte menschliche oder tierische Kraft sein. Der letzte Satz dieses Begriffsabsatzes: "für eine bestimmte Anwendung zusammengefügt" trifft gemäß Merkmal 2 definitionsgemäß auf unvollständige Maschinen nicht zu.

Merkmal 3

Dieses Merkmal, dass die bestimmungsgemäße Verwendung einer unvollständigen Maschine ist, so eingebaut zu werden, dass sie eine Maschine im Sinne der Richtlinie bildet, wird in der Inhaltsanforderung, der Einbauerklärung für eine unvollständige Maschine (Anhang II B) relativiert:

B: Erklärung für den Einbau einer unvollständigen Maschine

Für die Abfassung dieser Erklärung sowie der Übersetzungen gelten die gleichen Bedingungen wie für die Betriebsanleitung (siehe Anhang I Nummer 1.7.4.1 Buchstaben a und b); sie ist entweder maschinenschriftlich oder ansonsten handschriftlich in Großbuchstaben auszustellen.

Diese Erklärung muss folgende Angaben enthalten:

  1. Firmenbezeichnung und vollständige Anschrift des Herstellers der vollständigen Maschine und gegebenenfalls seines Bevollmächtigten;
  2. Name und Anschrift der Person, die bevollmächtigt ist, die relevanten technischen Unterlagen zusammenzustellen; diese Person muss in der Gemeinschaft ansässig sein;
  3. Beschreibung und Identifizierung der unvollständigen Maschine, einschließlich allgemeiner Bezeichnung, Funktion, Modell, Typ, Seriennummer und Handelsbezeichnung;
  4. Eine Erklärung, welche grundlegenden Anforderungen dieser Richtlinie zur Anwendung kommen und eingehalten werden, ferner eine Erklärung, dass die speziellen technischen Unterlagen gemäß Anhang VII Teil B erstellt wurden, sowie gegebenenfalls eine Erklärung, dass die unvollständige Maschine anderen Richtlinien entspricht. Anzugeben sind die Referenzen laut Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union
  5. Die Verpflichtung, einzelstaatlichen Stellen auf begründetes Verlangen die speziellen Unterlagen zu der unvollständigen Maschine zu übermitteln, In dieser Verpflichtung ist auch anzugeben, wie die Unterlagen übermittelt werden; die gewerblichen Schutzrechte des Herstellers der unvollständigen Maschine bleiben hiervon unberührt;
  6. Einen Hinweis, dass die unvollständige Maschine erst dann in Betrieb genommen werden darf, wenn gegebenenfalls festgestellt wurde, dass die Maschinen, in die die unvollständige Maschine eingebaut werden soll, den Bestimmungen dieser Richtlinie entspricht;
  7. Ort und Datum der Erklärung
  8. Angaben zur Person, die zur Ausstellung dieser Erklärung im Namen des Herstellers oder seines Bevollmächtigten bevollmächtigt ist, sowie Unterschrift dieser Person

Dieses Merkmal ist somit noch gesondert zu betrachten und zu bewerten. Es ist insbesondere festzustellen, was der europäische Gesetzgeber beim Merkmal 2 mit "keine bestimmte Funktion erfüllen" gemeint hat.

Risikobeurteilung bei unvollständigen Maschinen

Im Leitfaden zur Maschinenrichtlinie (Auflage 2.2 – Oktober 2019) wird unter § 18 darauf eingegangen, dass "unvollständige Maschinen [...] die grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzbestimmungen [des Anhangs 1 der Maschinenrichtlinie 2006/42/EG] nicht in vollem Umfang erfüllen (können), da bestimmte Risiken [...] daraus herrühren, dass die [unvollständige] Maschine noch unvollständig ist". Weiter heißt es dort, dass Risiken aus den Schnittstellen herrühren können.

Somit lässt sich ableiten, dass mit dem Merkmal für unvollständige Maschinen "keine bestimmte Funktion erfüllen" gemeint war, dass unvollständige Maschinen (allein) keine bestimmte sichere Funktion erfüllen können. Zur Einstufung einer unvollständigen Maschine ist daher eine Risikobeurteilung erforderlich, aus der hervorgeht, dass der Hersteller der unvollständigen Maschine aufgrund der bestimmungsgemäßen Verwendung nicht in der Lage ist, die Sicherheitsziele des Anhang 1 Maschinenrichtlinie 2006/42/EG vollständig zu erfüllen.

Beispiele für unvollständige Maschinen

Wenn man weiß, dass es sich bei unvollständigen Maschinen um eine Gesamtheit bildet, die allein genommen keine bestimmte Funktion erfüllen kann, so kommen sofort verschiedene Beispiele in den Sinn: Maschinen wie Antriebssysteme, Greifer oder Getriebe sind klassische Beispiele für Maschinen, die nur beim Einbau in eine andere unvollständige Maschine oder eine vollständige Maschine ihren Zweck erfüllen können.

CE-Kennzeichnung bei unvollständigen Maschinen

Als der europäische Gesetzgeber die "unvollständige Maschine" regelte, wollte er, dass auch Produkte, die fast eine Maschine sind, aber die Anforderung des Anhangs I der Maschinenrichtlinie allein nicht erfüllen können, in der europäischen Handelsgemeinschaft frei gehandelt werden können. Daher benötigen unvollständige Maschinen keine CE-Konformitätserklärung.

Einige Hersteller scheinen der Auffassung zu sein, dass die Verantwortung für ein Produkt mit CE‑Kennzeichnung höher ist als für ein nicht gekennzeichnet Produkt. Sie liefern beispielsweise Maschinen ohne Steuerung aus und argumentieren, dass damit die Merkmale einer unvollständigen Maschine erfüllt seien. Abgesehen davon, dass die Verantwortung für Produkte innerhalb der Grenzen des Produktes immer beim Hersteller liegen und Hersteller unvollständiger Maschinen noch zusätzlich dafür verantwortlich sind, die unsicheren Schnittstellen so zu beschreiben, dass diese hinterher sicher sind, ist das oben genannte Merkmal der fehlenden Steuerung nur dann relevant, wenn dort sicherheitsrelevante Signale verarbeitet werden.

Häufige Fehlinterpretationen des Begriffs der unvollständigen Maschine

Nachfolgend werden häufige Fehlinterpretationen bezüglich "unvollständige Maschine" der Hersteller aufgeführt.

  • Die Maschine wird ohne Antriebssystem geliefert.
  • Der Maschine fehlt die Verbindung mit dem Einsatzort
  • Der Maschine fehlt die Verbindung zur Energiequelle
  • Der Maschine fehlt die Verbindung zur Antriebsquelle
  • der Maschine fehlen einzelne Teile
  • der Maschine fehlen Schutzeinrichtungen

Der Leitfaden zur Maschinenrichtlinie (Auflage 2.2 – Oktober 2019) § 46 sagt zu unvollständigen Maschinen folgendes:

Unter diesem weiteren Zusammenbau ist nicht die Montage eines Antriebssystems an Maschinen zu verstehen, die ohne Antriebssystem geliefert wurden, wenn das zu montierende Antriebssystem durch die Konformitätsbewertung des Herstellers abgedeckt ist oder die Verbindung mit ihrem Einsatzort oder mit ihren Energie- oder Antriebsquellen.

Gelegentlich werden vollständige Maschinen, bei denen einzelne Teile fehlen, mit unvollständigen Maschinen verwechselt. Wenn die fehlenden Teile keine wesentlichen Bestandteile der Maschine sind (beispielsweise ein Motor als Energiequelle) und keine erheblichen Auswirkungen auf die Sicherheit dieser Maschine haben (derart, dass sie im Rahmen der Konformitätsbewertung zu berücksichtigen wären) und die Betriebsanleitung des Herstellers so klare Angaben zum Einbau der fehlenden Teile enthält, dass die Sicherheit und die Konformität der vollständigen Maschine im Sinne der MaschinenrichtIinie gewährleistet ist, kann die Maschine nach dem zweiten Punkt in Artikel 2 Buchstabe a nach dieser Anleitung auch zu einem späteren Zeitpunkt montiert und anschließend erstmalig in Betrieb genommen werden.

Auch das Fehlen einer Steuerung ist, wie eingangs erwähnt, nur dann relevant, wenn diese Steuerung sicherheitsrelevante Signale verarbeitet. Das Fehlen von Schutzeinrichtungen führt nicht automatisch dazu, dass aus einer vollständigen Maschine eine unvollständige Maschine wird.

Maschinen, die die Begriffsbestimmung nach den ersten drei Punkten in Artikel 2 Buchstabe a insoweit erfüllen, dass sie unabhängig betrieben werden und ihre bestimmte Anwendung ausführen können und bei denen lediglich die erforderliche Schutzeinrichtung oder Sicherheitsbauteile fehlen, gelten nicht als unvollständige Maschinen. Solche nicht vollständige Maschinen erfüllen die Anforderungen der MaschinenrichtIinie nicht und dürfen nicht mit der CE-Kennzeichnung versehen werden; sie können in der EU / im EWR nicht in den Verkehr gebracht werden.

Das heißt, dass man eine eigentlich vollständige für sich allein zu verwendende Maschine durch das gezielte Weglassen von Sicherheitseinrichtungen zu einer unvollständigen Maschine machen darf, um damit die Anforderungen der Maschinenrichtlinie zu unterlaufen.

To Do Liste für Hersteller unvollständiger Maschinen:

  • Durchführung einer Risikobeurteilung mit Festlegung der Grenzen (Schnittstelleanalyse) und Ermittlung und Angabe der Restrisiken
  • Auflistung, welche grundlegenden Sicherheitsanforderungen angewandt wurden und eingehalten werden (Anhang II 1 B, Satz 2 Nr. 4 und Anhang VII B a)
  • Montagevorgaben ermitteln und eine Montageanleitung im Rahmen der Maschinendokumentation gemäß Anhang VI ausstellen und der unvollständigen Maschine beifügen.
  • Einbauerklärung nach Anhang II 1 B ausstellen und der unvollständigen Maschine beifügen. Die Einbauerklärung muss Angaben darüber enthalten, „welche grundlegenden Anforderungen der Richtlinie zur Anwendung kommen und eingehalten werden“
  • Sicherstellen, dass die nach Anhang VII Abschnitt B genannten technischen Unterlagen für die zuständige Behörde verfügbar sind;
  • Prüfungen und Versuche zur Ermittlung des sicheren Zusammenbaus und der sicheren Benutzung nach Anhang VII B durchführen;

To Do Liste für Betreiber, die unvollständige Maschinen einsetzen wollen:

Betreiber (Arbeitgeber) sind nach §5 Abs. 3 der BetrSichV verpflichtet "nur solche Arbeitsmittel zu Verfügung [zu] stellen, die den geltenden Rechtsvorschriften [...] entsprechen. Zu diesen Rechtsvorschriften gehören [...] insbesondere [die, die] mit den Gemeinschaftsrichtlinien in deutsches Recht umgesetzt wurden[...]."

Das bedeutet, dass der Betreiber dafür verantwortlich ist, den Prozess der Konformitätsbewertung (auch für unvollständige Maschinen) mitsamt der Konformitätserklärung durchzuführen oder durchführen zu lassen.

Fazit

Eine unvollständige Maschine ist für Hersteller und Betreiber ein Sonderfall, über den es sich lohnt, informiert zu sein. Die besonderen Anforderungen an die Maschinendokumentation machen unvollständige Maschinen zu einem wissensintensiven Feld, da wichtige Bausteine von vollständigen Maschinen wie die CE-Kennzeichnung teilweise anders funktionieren.